Sunday, December 2, 2012

Letter from Brussels - Die schiefe Achse

Ohne Französisch geht in Brüssel fast gar nichts. Ob nun im Café oder in den Gängen der Europäischen Kommission. Ohne französische Sprachkenntnisse kann man schon mal verdursten oder bleiben Türen geschlossen. Jeder Neu-Brüsseler hat daher auch ein französisches Wörterbuch im Gepäck.
 
Die „Grande Nation“, Frankreich, ist auf dem besten Weg der neue kranke Mann der Eurozone zu werden. Langsam, aber sicher, hat sich Frankreich wirtschaftlich aus dem Kreis der Kernländer des Euroraums verabschiedet. Die hohe Arbeitslosigkeit, die schwindende Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, das hohe Haushaltsdefizit und die schnell steigende Staatsschuld sind hausgemachte Probleme, die nur langsam in den Griff zu bekommen sind.
 
Mit dem wirtschaftlichen Abschwung folgt im Augenblick auch der Abgang Frankreichs von der europäischen Bühne. Während französische Ideen für die Zukunft der Eurozone Mangelware sind, hat die deutsche Regierung die Deutungshoheit übernommen. Dazu kommen regelmäßige Störfeuer. Hollande’s offene Kritik an Angela Merkel während und nach dem französischen Wahlkampf, übertriebene Siegerposen nach dem Euro-Gipfel im Sommer und der versuchte Aufbau einer Anti-Merkel Allianz aus südeuropäischen Ländern waren mehr als nur Störfeuer.
 
Die Ideen zur Zukunft des Euros liegen weit auseinander. Deutschland will bedingte Integration. Frankreich die bedingungslose Haftungsunion. Ein Kompromiss zwischen Gleichstarken wäre ein zu schwacher Kompromiss für den Euro. Was Jahrzehnte lang undenkbar war, könnte jetzt vielleicht sogar ein Segen für den Euro sein: eine schwache deutsch-französische Achse.
 
Den Kaffee wird man in Brüssel in den kommenden Monaten wohl weiterhin auf Französisch bestellen müssen. Für den weiteren Weg der Euro-Krise kann das französische Wörterbuch aber guten Gewissens weggeschmissen werden.
 
Dieser "Letter from Brussels" wurde schon in der 'Euro am Sonntag' veroeffentlicht.

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